Montag, 8. November 2010

Wir können alles. Außer Gelassenheit?




Wir alle wissen ja: Humor ist nicht jedermanns Sache.

Ein Skandälchen (süddeutsch: Skandäle) deckte vor wenigen Tagen Spiegel Online auf. Dabei geht es um den bundesweit populären Landesclaim Baden-Württembergs („Wir können alles. Außer Hochdeutsch“). Dazu muss man wissen: Zu einem Slogan gehört stets der Absender bzw. das Logo. Hier ist es: das Musterländle-Wappen (mit Löwen, Hirsch und Greif, sozusagen den Vorläufern von Äffle und Pferdle).

Dass nicht nur die Einnahme von Medikamenten, sondern auch der Wappen-Einsatz äußerst unangenehme Nebenwirkungen zeigen kann, musste nun laut Spiegel Online eine Studentengruppe rund um den Karlsruher Informatikstudenten Tobias Eckert, 20, leidvoll erfahren.

Sollten Sie planen, auch bei der nächsten Fußball-WM Ihre Sympathie für Jogis Jungs in Schwarz-Rot-Gold erneut öffentlich zeigen, sollten Sie vorher unbedingt das hier lesen – eine neuzeitliche Posse:

Spiegel-Online aktuell




Man ist geneigt zu fragen: Wo leben wir eigentlich? Richtig, in Deutschland. Wo alles so diszipliniert und korrekt zugeht. Wofür uns die Welt beneidet. Ja und schön und gut so. In Deutschland, wo uns spätestens seit dem Sommermärchen die Welt nicht nur respektiert, sondern – jahrzehntelang undenkbar – sympathisch findet und mag. Für unsere Liberalität, unsere Offenheit, ja, sogar für unsere Kreativität… und weil wir selbst es mögen, dass der Trainer des aktuellen Deutschen Meisters (ein lebenslang eher bissiger, knorriger Holländer) sich bei uns völlig ungestraft als „Feierbiest“ outen darf – und deutschlandweit machen alle mit. Mit Freude. Das ist das Schlüsselwort. Was das alles mit Paragraf 124, Ordnungswidrigkeitengesetz, zu tun hat? Vielleicht nichts, vielleicht gar nichts oder nur ein wenig - ich weiß es nicht.

Natürlich - jeder PR-Experte und politische Berater weiß: In der „professionellen“ Öffentlichkeitsarbeit und in der Politik herrscht ein striktes Ironieverbot. Was man zum Teil sogar verstehen kann. Das liegt daran, dass Ironie meist nur mündlich oder Auge in Auge verstanden wird. Gedruckt kommt Ironie, das ist wahr, leider selten rüber. Auf einem gedruckten kreativen T-Shirt von Studenten, die ihre Meinung ausdrücken wollen, aber ganz sicher.

Und doch, liebe „Paragraphenfreunde“, deren Arbeit ich ansonsten sehr respektiere: Versucht einfach mal Euch darüber zu freuen, dass wir junge Leute in unserem Land haben, denen es gelingt, mit Ideen und beeindruckender Kreativität für ihr Anliegen zu werben – und zum Beispiel nicht durch Gewalt. Wie anderswo. Dem Staatswappen von Baden-Württemberg bricht kein Stück Geweih ab, wenn es von jungen Leuten wieder ins Bewusstsein gerückt wird. Das ist sogar kostenlose und dazu gute Werbung. Von Landsleuten, die das Ganze (auch unsere Symbole und damit uns selbst) ganz einfach locker sehen. Und gewiss mehr wissen und kennen als Äffle und Pferdle…

Aus Kommunikationssicht muss man hier mal klare Kante zeigen und sagen: Ja, was die jungen Leute da machen, ist richtig gute, überzeugende PR. Richtig gute, überzeugende PR ist niemals ein Angriff, sondern stets eine Herausforderung und damit auch eine Einladung an die Gegenseite. Eine Einladung nämlich, es ähnlich gut zu machen. Zumindest es mal zu versuchen. Im Wettstreit der Ideen sozusagen. Nicht im Wettstreit um die Interpretation von Paragraphen.

Übrigens ganz im Sinne der Bundesregierung:

Deutschland, Land der Ideen!